Interview mit Bischof Sándor Zán Fábián

Nachricht Berlin, 19. Dezember 2022
Bischof Sándor Zán Fábián

„Der Glaube der Menschen um mich herum ermutigt mich.“

Bischof Sándor Zán Fábián spricht im Interview mit der Evangelischen Partnerhilfe über die Herausforderungen für die Reformierte Kirche in Transkarpatien

Der Krieg gegen die Ukraine dauert jetzt schon über neun Monate. Für die Reformierte Kirche in Transkarpatien hat sich in diesen Monaten sehr viel verändert. Viele Gemeindemitglieder haben Ihre Region in Richtung Ungarn verlassen. Das Gemeindeleben funktioniert nicht wie bisher. Nach wie vor befinden sich viele Binnenflüchtlinge in Transkarpatien.

Wie haben Sie den 24. Februar 2022 erlebt? Was waren Ihre ersten Gedanken?

Ich habe in den frühen Morgenstunden vom Krieg erfahren. Ich weckte meine Frau und teilte ihr die schlechte Nachricht mit. Wir haben beide geweint. Unsere Zwillingssöhne, Bálint und Balázs, würden bald 18 Jahre alt sein. Sie waren kurz davor, ihren Abschluss zu machen. In den Nachrichten wurde über Menschen berichtet, die vor einem erwarteten Blitzkrieg flohen. Meine Familie packte ein paar Kleidungsstücke und fand sich bald in einer langen Schlange am Grenzübergang nach Ungarn wieder, um das Land zu verlassen! Meine Frau und meine Kinder wussten, dass ich nicht gehen konnte, die Kirche in der Ukraine brauchte mich. Es fiel mir schwer, mich zu verabschieden, aber ich hatte wirklich keine Zeit. Ich blieb allein und verbrachte zehn Tage in der leeren Gemeinde, um mein Leben und meinen Auftrag zu überdenken.

Wir stehen unmittelbar vor dem Winter. In Ihrer Region gibt es keine Kampfhandlungen, aber doch oft Luftalarm. Und auch in Transkarpatien gibt es immer wieder Stromausfälle.

Mit welchen Sorgen oder Gefühlen blicken Sie auf die kommenden Monate? Was sind für Ihre Kirche zur Zeit die größten Herausforderungen? Welche konkreten Probleme haben Sie? Oder gibt es sogar etwas für das Sie in dieser Situation dankbar sind?

Eine Vision der Zukunft ist nicht leicht zu formulieren. Die dunklen Tage des Winters, die Kälte, die Stromausfälle, die Finanzkrise sind allesamt sehr belastend. Es gibt viele verarmte Kirchenmitglieder, die sich keine Medikamente leisten, Strom- und Gasrechnungen bezahlen und Lebensmittel kaufen können.

Das Ziel ist nun gesetzt: bis Mai durchhalten, überleben. Alles andere ist nur ein Zusatz zu dem, was wir jetzt haben, und es wird immer schwieriger sich vorzustellen, wie wir mit noch weniger Energie, Treibstoff und Menschen überleben können.

Aber wir sind zuversichtlich. Die Vorsehung Gottes ist größer als unser Elend. Wir haben keine Rücklagen, aber wir beten täglich um das tägliche Brot und die Grundbedürfnisse des Lebens. Wir waren schon vor dem Krieg nicht reich. Nach Kriegsbeginn kamen Flüchtlinge mach Transkarpatien. Die Lebensmittel waren innerhalb von drei oder vier Tagen vergriffen. Decken und andere notwendige Dinge wie Reinigungsmittel und Kleidung wurden schnell knapp.

Doch bereits ab dem zweiten oder dritten Tag konnten wir den Flüchtlingen mit ausländischer Unterstützung helfen. Wir haben viele Hilfssendungen aus Deutschland, Ungarn, den Niederlanden, Rumänien und der Slowakei erhalten, die wir an Bedürftige, Menschen in unseren Einrichtungen und Menschen in den östlichen Regionen weitergeleitet haben. So konnten wir für Unterkunft, Verpflegung, Heizung und alles andere sorgen.

Diejenigen, die zu uns geflohen sind, waren überrascht, unsere Hilfsbereitschaft und brüderliche Haltung zu erleben. Für sie war es seltsam, dass wir Ungarisch sprechen und trotzdem hier leben. Sie waren überrascht zu erfahren, dass wir ihnen helfen, sie willkommen heißen und für sie beten. Die Kinder konnten ungarische Gottesdienste und Sommerlager besuchen. Auch die Erwachsenen erlebten die herzliche Gastfreundschaft der ungarisch-reformierten Gemeinschaft. Es ist uns gelungen, sprachliche, religiöse und kulturelle Grenzen zu überwinden.

Ich habe Bibeln auf Ukrainisch besorgt – und wir haben angefangen, in unseren Kirchen Gottesdienste in ukrainischer Sprache zu halten. Vor 10 Monaten wäre das für mich absolut unvorstellbar gewesen. Wir haben die Dankbarkeit der Menschen gespürt. Orthodoxe und auch Konfessionslose aus dem Osten der Ukraine sind in unsere Kirchen zum Gottesdienst gekommen. Unser Dienst hat sich gewandelt.

Heute kann ich auch berichten, dass viele der zurückgekehrten Flüchtlinge, die in unseren Gemeinden waren, Weihnachtsgeschenke erhalten werden. Wo heute Kontakt besteht, werden sie die Liebe Gottes erfahren.

Ich bin auch dankbar für meine Familie. Dieser Krieg ist wie ein Sieb. Gott schüttelt das Sieb der Geschichte und es wird deutlich, was wirklich wertvoll ist: das menschliche Leben, und wenn wir an Gott glauben, dann ist unser Leben nicht umsonst.

Der Glaube der Menschen um mich herum ermutigt mich. Ich war auch erstaunt, dass während des Krieges Kirchen renoviert wurden, junge Menschen heirateten und ein junger Pastor von Ungarn in die Ukraine zog, um in diesem Land zu dienen. Und natürlich war das Wort Gottes eine tägliche Ermutigung. Wenn ich es in der täglichen Hektik vergesse zu lesen, bekomme ich Angst und mache mir Sorgen, aber wenn ich die tägliche Botschaft lese, werde ich immer ermutigt. Ich bin dankbar für die Botschaft Gottes!

Sehr geehrter Herr Bischof Zán Fábián, wir bedanken uns für Ihre persönlichen Gedanken zur Situation Ihrer Kirche im Krieg! Danke, dass Sie sich Zeit nehmen konnten, unsere Fragen zu beantworten.